Wie alles begann ...
04.07.2021: Ein Tag, den ich nicht nur deshalb nie vergessen werde, weil es der Geburtstag meiner Mama ist, sondern an dem ein ungebetener Gast in meinem Körper das erste Mal seine Anwesenheit kundtat. Dieser Tag sollte der Beginn einer Lawine an nachfolgender Arzttermine, psychischen Belastungsproben und vor allem einen für mich bedeutenden Rollenwechsel, sein.
Ein Familienausflug in den Tierpark mit allem Drum und Dran zu Ehren meiner Mama. Ein schöner Tag, der mit einer unvorhergesehenen Überraschung vor dem Schlafen gehen zu Ende ging. Meine Beine waren übersät mit blauen Flecken, welche ihrer Größe nach so aussahen, als ob ich entweder beim Paintball spielen zur Zielscheibe wurde oder einen filmreifen Stunt hingelegt habe. Mit einem mulmigen Gefühl legte ich mich Schlafen und schob das Problem auf den nächsten Tag.
Das Rätsel um die blauen Flecken
Der Vorteil daran, in einem Krankenhaus zu arbeiten, ist es im Zuge einer Morgenbesprechung gleich mehrere Ärztinnen und Ärzte beisammensitzen zu haben, um sie nach Rat zu fragen. Irgendjemand wird schon eine Idee zu diesen Flecken haben, dachte ich mir und damit wäre das Problem auch schon gelöst. Ich entblößte meine Beine und blickte in zum Teil weit aufgerissene Augen, bekam einige Fragen gestellt und dann wurde es still. Auf Nachhaken meiner Chefin nahm sich schließlich eine Ärztin meinem Problem an. Noch am Vormittag rief sie mich an, dass sie einen Termin bei einem absoluten Experten für diese Problematik für mich ausgemacht habe, und zwar bereits am nächsten Tag.
Die 1. Medizinische Abteilung alias ONKOLOGIE
Da saß ich also nun, auf der onkologischen Ambulanz und hob nicht nur deutlich den Altersschnitt wenn ich mich umsah, sondern erntete auch etwas eigenartige Blicke vom Personal, das an mir vorbeilief. Auf der Tür vor mir stand der Name des Arztes, gefolgt von "Facharzt für Hämatoonkologie". Mein Ergohirn ratterte und holte das Wissen zu Anatomie und Physiologie aus dem 1. Semester meines Studiums hervor.
Meine erste Blutabnahme war alles andere als gut. Mehrere Blutzellen lagen in ihrer Anzahl deutlich unter dem Referenzwert, vor allem die niedrige Anzahl an Thrombozyten (Blutplättchen) mit 75.000 (davon sollten wir mindestens 150.000 haben) beunruhigte den Arzt. Ich wurde überschüttet mit Fachbegriffen, die ich auch als Gesundheitsberuf nur vage verstand. In dem Moment wurde mir klar, dass wir beide zwar weiße Dienstkleidung trugen, ich allerdings von der Rolle einer Gesundheitsfachkraft in die Rolle der Patientin katapultiert wurde.
Der Juli 2021 war geprägt von wöchentlichen Blutabnahmen und Besprechungen auf der Onkologie mit meinem hämatologischen Facharzt alias Sherlock Blut, denn dieser Mann hatte es sich zum Ziel gesetzt um jeden Preis herauszufinden was mir fehlt und das schien keineswegs eine einfache Aufgabe zu sein. Meine Google-Suche wurde nach jedem Termin länger und bestand aus unzähligen Fachbegriffen, die ich als Therapeutin selbst noch nie oder vor Jahren zuletzt gehört habe. Es wurde auf diverse Viren (Epstein Barr Virus, Parvoviren und weitere kunterbunte Namen…), Krankheiten, Allergien und Hormone getestet.
„Eine Beckenkammbiopsie…dann wissen wir es zu 100%.“ Dieses Wort fiel beinahe beiläufig, aber mir fiel sofort wieder ein: Beckenkamm= Knochenmark= Krebsdiagnostik!! Den Rest hörte ich nur mehr wie durch verschlagene Ohren.
„Das ist wie eine Wurzelbehandlung, keine große Sache.“ Gut, dass ich noch nie eine Wurzelbehandlung hatte und somit keinerlei Ahnung hatte, was da auf mich zukommen sollte.
Durch „Mark und Bein“ für die Wahrheit
04.08.2021: Exakt ein Monat nachdem die blauen Flecken als Vorboten ankamen, lag ich in Bauchlage mit entblößtem Hinterteil auf einem Pflegebett und wartete, dass mir ein junger Arzt „an den Knochen ging“.
Die Lokalanästhesie (damit wird das umliegende Gewebe betäubt) hinderte meine Rezeptoren keineswegs daran, mir Informationen über Druck, Zug und die Bewegungen des Arztes weiterzuleiten, der versuchte sich durch meine Strukturen Richtung Knochen zu bewegen. Ich hörte wie der Arzt sich plagte und mir an dieser Stelle noch das etwas komische Kompliment über meine durchtrainierte Glutäalmuskulatur und mein festes Knochenmaterial machte.
Der Eingriff dauert immer länger, entpuppte sich als Herausforderung für den Arzt und meine mentale Stärke diese Schmerzen wegzudenken. Beim 3. Versuch bekam ich ein Beruhigungsmittel, das ich wahrscheinlich in dreifacher Stärke gebraucht hätte, denn mittlerweile zerdrückte ich die Hand einer Medizinstudentin, welche hoffentlich niemals Chirurgin werden möchte und begann die Ambulanz mit Flüchen und Schreien zu übersäen.
Aber schließlich ein Knacken, der Knochen, und dann ein Schmerz, der von meinem Becken bis in die kleine Zehe und wieder zurückschnellte. Dreimal wurde Knochenmark mit einer langen Nadel entzogen und dabei hob es mich beinahe aus dem Bett. Das anschließende Klicken, das Stanzen des Knochens, spürte ich nicht mehr. Ich war am Ende meiner Kräfte angelangt, wurde auf den Rücken gedreht und musste noch eine Stunde so liegen bleiben. Dieser Schmerz und die Erinnerung daran sollten mich noch lange verfolgen und er ist definitiv mein Referenzwert dafür, sollte ich jemals Kinder bekommen.
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Ohja, dieser Schmerz ist nicht ohne 🙈 Bei mir klappte es zum Glück beim ersten Versuch. Wie furchtbar, dass das bei dir so lange gedauert hat ❤️