Von Lebensfreude, Zeitdruck, Sonntagsdepressionen, blauen Flecken & Eierstockzysten
Die nächsten Wochen waren geprägt von einem Kampf an mehreren Fronten.
Dieser seltsame Körper
Mein Körper und ich standen auf Kriegsfuß, denn er fühlte sich weder an wie meiner, noch sah er so aus. Ich hatte zugenommen, die Pickel florierten nur so und die Hormonspritzen hinterließen riesige blaue Flecken an meinen Oberschenkeln. Mein Körper fühlte sich mir vollkommen fremd an und auch die sportliche Leistungsfähigkeit stieß immer häufiger und nach kürzester Zeit an ihre Grenzen.
Den Höhepunkt erreichte dieser Zustand mit einem Kreislaufzusammenbruch während der Arbeit. Ich arbeitete direkt an einem Patienten auf der Intensivstation als meine Sicht zu verschwimmen begann, mir die Ohren sausten und ich bemerkte, dass ich langsam die Kontrolle verlor. Ich schleppte mich gerade noch auf einen Sessel und wollte zur nächstgelegenen Toilette.
„Jetzt bloß nicht auf der Intensivstation zusammenbrechen“, dachte ich, doch dann begann ich langsam wegzudriften. Die Realität entzog sich mir immer mehr und als Nächstes griffen plötzlich mehrere Hände nach mir, katapultierten mich auf ein Bett, gefolgt vom Anlegen eines Sauerstoffsensors und der Blutdruckmanschette. Ich blickte in die Augen von Pfleger*innen mit denen ich tagtäglich zusammenarbeitete und begann mich unendlich zu schämen. Dieser Arbeitstag endete mit einem 1:0 für den Körper, den ich weder kontrollieren noch begreifen konnte. Die Erklärung für meinen Kollaps, der 3 Tage später erneut passierte, waren große Zysten an meinen Eierstöcken, wie uns der Kinderwunscharzt beim Ultraschall zeigte.
Lebensfreude – Man muss die Feste feiern, wie sie fallen
Nach Wochen voller Gefühlschaos, Hormonen und körperlichen Engpässen sehnte ich diesen Samstag bereits herbei. Der 30. Geburtstag von Manuel und eine große Feier im Kreis von Familie und Freunden. Obwohl ich anfangs Angst hatte mein Körper könnte mir wieder zeigen, wer der Boss ist und mich ans Bett fesseln, wurde gerade diese Feier wieder zu einem Fest des Lebens. Ich fühlte mich so lebendig wie schon lange nicht mehr und tanzte bis in die Morgenstunden. Das Hier und Jetzt, frei von Krankheit, aber voller jugendlicher Leichtigkeit wie wir sie in unseren Fortgehzeiten verspürt haben. Ich bin mir sicher jede*r von euch hat diese Momente schon mal erlebt, in denen man unsterblich ist und diese eine Nacht mehr zählt als das Morgen und Danach.
Dunkle Wolken ziehen auf – Hallo Sonntagsdepression
Wer kennt sie nicht, die „Sonntagabend – Morgen ist wieder Montag – Depression“. Nach einem Fest der Lebensfreude rutschte ich auf der Emotionspalette weit runter und stellte Fragen nach dem Sinn des Ganzen.
Wozu sollte ich einen Master weiterverfolgen, wenn dieser sowieso abgebrochen werden musste? Warum weiterarbeiten oder vielleicht sollte ich mir überhaupt einen anderen Beruf suchen?
Es war geradezu verlockend alles hinzuschmeißen, denn wozu sollte ich weiter an diesem Alltag festhalten, wenn ein Schatten über mir liegt und nur darauf wartet mich niederzustrecken. Die Sonntagsdepression zog mich tief runter und ich kämpfte mit Gefühlen von Angst, Ohnmacht, Hilflosigkeit und Unzufriedenheit.
Ich wurde auch zum ersten Mal gedanklich mit der möglichen Endlichkeit meines doch noch sehr jungen Lebens konfrontiert. Ich saß da, fühlte mich nicht sterbenskrank und konnte mich nicht in die Lage einer krebskranken Patientin hineinversetzen. Und dennoch waren da gewisse Wahrscheinlichkeiten, Sterblichkeitsraten, kürzere Lebenserwartung die durch meinen Kopf sausten. Ein Teil dieser ganzen Reise ist stark geprägt von diesen Gefühlen, die genauso ihre Daseinsberechtigung haben wie die Lebensfreude. Ich musste das jedoch auch mehrmals durchlaufen und lernen auch diese Seite der Medaille anzunehmen. Ich konnte also auch die dunklen Wolken wieder beiseite schieben, denn Sterben mag eine 10%-ige Wahrscheinlichkeit dieses Projekts sein, aber keine meiner Optionen.
Die Zeit läuft….
Der Behandlungsplan schritt unterdessen weiter voran wie eine Armee, die in den Krieg zog.
Eine erste Welle der Hoffnung und Dankbarkeit durchflutete mich bei unserem nächsten Gespräch mit dem Arzt. Es gab neben meiner halbidenten Schwester eine*n kompatible*n Fremdspender*in aus Deutschland. Die Spendersituation war somit geklärt und der Arzt präsentierte den weiteren Plan. Unser Gegner und dessen Armee an Blasten (unreife Zellen im Knochenmark) mussten zunächst wieder erforscht werden. Das hieß für mich Beckenkammbiopsie 2.0!
Die Beckenkammbiopsie sollte Klarheit geben und damit den Behandlungsplan spezifizieren. Brauchte es eine Vorchemo um die Blasten zurückzudrängen oder konnten wir direkt in eine SZT übergehen? Während ich noch in einem Flashback meiner letzten Beckenkammbiopsie festhing, versicherte mir der Arzt, dass bei dieser alles anders sein würde, und das sollte es von da an tatsächlich auch bei zukünftigen Biopsien werden.
Dank eines kleinen Wundermittels mit Namen „Dormikum“ musste ich weder bei dieser noch bei weiteren Beckenkammbiopsien leiden, denn seitdem habe ich sie allesamt verschlafen.
Ich hätte mir nur gewünscht man hätte mir diese erste traumatische Erfahrung erspart und gleich über diese Möglichkeit aufgeklärt. Aber ich schreibe ja all das hier, um vielleicht gerade dir da draußen die Möglichkeit zu geben, es besser zu haben und einzufordern, was uns zusteht und unsere Schmerzen erträglicher macht.
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