Brief von Unbekannt
- Jasmin Poschmaier
- 15. Sept.
- 3 Min. Lesezeit
Erschöpft und mit einem tiefen Seufzer drehe ich den Schlüssel im Schloss und öffne das Postfach. Ein einzelner weißer Umschlag liegt darin. Als ich ihn herausziehe und den Stempel des Absenders erkenne, werden meine Augen groß: Medizinische Universität Wien.
Verwirrt ordne ich die Informationen in meinem Kopf und komme zu dem Schluss, dass es sich nur um einen Befund der Impfambulanz handeln kann, bei der ich zuletzt war. Mit dem Umschlag in der Hand steige ich in den Lift zum dritten Stock und beginne, unruhig damit zu spielen.
Am Küchentisch reiße ich den Brief schließlich auf. Sofort springt mir die Anschrift in der rechten Ecke ins Auge: Knochenmarktransplantation, AKH Wien. Schlagartig überschlagen sich meine Gedanken. Was soll das bedeuten? Im April war ich zuletzt zur Kontrolle dort, doch Befunde habe ich bisher nie per Post erhalten.
Mit zitternden Händen schlage ich das zweifach gefaltete Blatt auf – und bleibe an einem einzigen Satz hängen, der mitten auf der Seite steht:
„Anbei darf ich Ihnen einen Brief Ihres Stammzellenspenders weiterleiten.“
Ich springe auf und laufe mit dem Papier wedelnd zu Manuel. Zwei Jahre sind vergangen, zwei meiner Briefe sind unbeantwortet geblieben. Ich hatte längst aufgehört zu hoffen, jemals eine Antwort zu erhalten. Diesen Sommer habe ich mich sogar damit ausgesöhnt, dass von ihrer Seite vielleicht kein Wunsch nach Kontakt besteht. Meine tiefe Verbundenheit zu diesem Menschen wäre dennoch geblieben – ob je ein Wort von ihr zu mir gelangt oder nicht. Und doch: Nun ist es soweit. Ich halte die Worte meiner Spenderin in den Händen.
Das Öffnen des kleineren Kuverts mit dem handschriftlich verfassten Brief fühlt sich an wie das schönste Weihnachtsfest und jeder Geburtstag zugleich. Ich streiche über das Blatt, verfolge mit meinen Fingern die sorgsam geschwungenen Buchstaben. Mit jeder Zeile sauge ich die Worte auf, als stünde die Verfasserin direkt vor mir. Schließlich lege ich mir den Brief ans Herz – als könnte ich die Nähe und Wärme, die darin liegen für immer in meinem Herzen bewahren.

Alle Gedanken und Zweifel, die ich mir in den letzten Jahren gemacht habe, verblassen im selben Moment. In ihren Zeilen spüre ich die Unsicherheit und Angst, nicht gut genug zu sein, aber auch die Neugier und Faszination über diese seltsame, tiefe Verbindung, die uns verbindet. Während ich mir die Frage stellte, wie ich meiner Lebensretterin je danken könnte, fragte sie sich, wie man jemandem schreiben soll, der so große Dankbarkeit empfindet, ohne dabei zu viel von sich preiszugeben.
Bis fünf Jahre nach der Stammzelltransplantation ist es uns nicht erlaubt, persönliche Informationen auszutauschen. Der Kontakt muss anonym bleiben – erst danach könnten wir, sofern wir beide wollen, Adressen austauschen. Es wirkt beinahe absurd: Wir teilen dieselbe Blutgruppe, ja sogar dasselbe Blut, sind einander dadurch näher als jedem anderen Menschen – und doch dürfen wir keine Details über uns preisgeben. Aber diese Regel existiert zu unserem Schutz. Sollte es nötig werden, dass meine Spenderin erneut helfen muss, soll sie die Freiheit haben, diese Entscheidung unbeeinflusst treffen zu können.
Ob dies ihr einziger Brief bleibt oder ob wir von nun an regelmäßig schreiben, vielleicht einander eines Tages sogar in die Arme schließen – das weiß ich nicht. Und es spielt keine Rolle. Für mich wird sie immer einen Platz in meinem Herzen haben, oder genauer gesagt: in meinem Blut. Mit jedem Schlag meines Herzens fließt ein Teil von ihr durch meinen Körper und schenkt mir Leben. Dank ihr darf ich wieder träumen – und neue Pläne für die Zukunft schmieden.




Liebe Jasmin. Ich freu mich so mit dir. Hatte heute meinen erfolgreichen Tag Null im AKH - eine meiner drei Schwestern passte perfekt und ich bin auch so Dankbar..... Danke für deinen Blog der mir wirklich sehr hilft und unterstützt.
Dir wünsche ich weiterhin alles Gute und viel Freude in deinem Leben! 🥰