Rollenwechsel – ein neues Gewand wird angelegt
Als Therapeutin zählen Empathie, Verständnis und eine Portion Motivation (davon wohlgemerkt die Größte) zum Erfolgsrezept im Umgang mit meinen Patient*innen. Ich musste in meiner Doppelrolle leider oft das Gegenteil, wie ihr schon oftmals gelesen habt, miterleben. Zunehmend wurde die Rolle der Patientin in mir größer, es wurde schwieriger für mich meinen Patient*innen zuzuhören, ihren Problemen entsprechende Wichtigkeit zu geben und vor allem stellte ich meine Arbeit Tag für Tag in Frage.
Nachdem ich meinen Arzt davon überzeugt hatte, dass ich so nicht länger weitermachen wollte und ein für alle Mal mit MDS abschließen wollte, begann sich das Rad erneut in Bewegung zu setzen. Ich fühlte mich endlich wieder so, als ob ich selbst das Steuerrad in der Hand hatte. Auch die Werte meiner letzten Beckenkammbiopsie zeigten, dass sich in langsamen Schritten eine Verschlechterung bemerkbar machte. Unser Gegner zählte nun bereits leicht über 10% Blasten im Knochenmark.
Der Tag X für meine Aufnahme war bereits Rot in meinem Kalender markiert, die letzten Termine eingeteilt und meine Arbeitstage waren auf einer Hand abzuzählen. Ich war in Aufbruchstimmung. Bereit dieses alte Leben loszulassen, um mich voll und ganz auf das einlassen zu können, was vor mir lag. Vielleicht kennt ihr das, wenn überall in der Wohnung Zeitschriften, unerledigte Kreuzworträtsel, Listen, geliehene Sachen und sonstiges Zeug herumliegen. Sowohl im Außen begann ich dies alles zu entsorgen als auch in meinem Inneren fand das Aufräumen statt.
Gefühlte 1000 Abschiedsszenarien mit Kolleg*innen und Freund*innen standen an der Tagesordnung. Ich schien nur dazustehen, nichts zu empfinden, mich abzuwenden und zu versuchen das alles schnell hinter mich zu bringen. Der große Nervenzusammenbruch war noch immer nicht gekommen. Ich FUNKTIONIERTE. Es kochte zwar in meinem Inneren, aber noch stieg der Druck nicht nach oben und ging über.
Ein bedeutender Schritt in Richtung SZT war mein Rollenwechsel von der Ergotherapeutin und damit einer Angehörigen des Gesundheitssystems, hin zu jener der Patientin. All die Tipps und Tricks, die ich selbst meinen Patient*innen immer auf den Weg durch den Irrwald unseres Gesundheitssystems mitgegeben habe, musste ich nun selbst ausprobieren. Meine Rolle passte mir nicht mehr, fühlte sich nicht mehr stimmig an, denn wie soll ich Menschen in Ausnahmesituationen begleiten, wenn ich selbst gerade in so einer bin? Nur mehr die weiße Dienstkleidung unterschied mich von der Rolle der Patientin.
Der letzte Arbeitstag war gekommen, ich betrat mit derselben Selbstverständlichkeit das Krankenhaus wie jeden Tag seit 6 Jahren. Meine letzte Wäschegarnitur wartete auf mich. Dieselbe Routine, dieselben Bewegungen wie jeden Tag, ein durchgetakteter Dienstplan ohne Lücken mit Patient*innen gefüllt. Erst in den letzten Minuten vor Dienstschluss wurde mir bewusst, dass diese Menschen, die mich seit meinem Berufsstart hier begleitet haben, für eine längere Zeit nicht täglich mit ihrem Lächeln auf mich warten würden. Mein innerer Kochtopf ließ erste kleine Mengen an Tränen überquellen. Dann war es Zeit zu gehen, das weiße Gewand abzulegen und nicht mehr zurück zu schauen. Ich warf meine Wäsche im Automaten ab, checkte aus, ohne zu wissen, wann ich wieder einchecken würde.
Von nun an war ich Patientin und vertraute ebenfalls dem Fachpersonal, dass es einen Plan haben würde.
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