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Heimkommen - Ankommen

"Es lässt sich viel einfacher und schneller putzen, wenn die ganze Deko weg ist", beantwortet Manuel meinen umherschweifenden und suchenden Blick über die leergeräumten Kommoden und Regale unserer Wohnung. Statt meinen Kerzen, Omas selbstgehäkelten Deckchen und den verschiedensten Dekoaufstellern finden sich nun an jeder Ecke Desinfektionsmittel griffbereit. Ich widerspreche ihm nicht, immerhin muss er sich die nächsten Wochen vollkommen allein um Haushalt, Einkauf und den Wohnungsputz kümmern. Ein strenges Verhaltensprotokoll erlaubt es mir innerhalb meiner ersten 80 Lebenstage nach der Transplantation weder mich um Pflanzen zu kümmern, noch mit rohen Lebensmitteln, Keimen im Sanitärbereich oder Menschenansammlungen in Kontakt zu kommen. Dazu kommt ein keimfreies Ernährungsprotokoll für die ersten Wochen zuhause, wodurch ich mein eigenes Wasser aus Mineralwasserflaschen trinken, jegliche geöffnete Lebensmittel innerhalb von 1-2 Tagen aufbrauchen muss und so gut wie alles aufs Genauste gewaschen oder abgekocht werden muss.


Die Vielzahl an Regeln sind nur ein Umstand, an den es sich in diesem neuen Alltag zu gewöhnen gilt. Ich tapse durch die Wohnung, mein Zuhause und vermisse das Gefühl, das man sich nach Wochen im Krankenhaus vorstellt oder wünscht, wenn man endlich wieder in den eigenen vier Wänden ist. Stattdessen fühle ich mich dauerangespannt, verunsichert und irgendwie seltsamerweise allein. Immerhin konnten mich im Krankenhaus zumindest einzeln jeden Tag bis zu drei verschiedene Menschen aus meinem Umfeld besuchen kommen, wenn auch mit Maske und Schutzkleidung. Manuel und ich können uns endlich auch körperlich wieder nahe sein, aber gleichzeitig haben wir in den nächsten Wochen zum größten Teil auch nur einander und sind auf uns gestellt. Eine echte Bewährungsprobe, aber eine der vielen Herausforderungen mit denen ich nicht hadere, derer ich mir sicher bin, dass wir sie meistern.


Auf der anderen Seite stehen ein schmerzender, schwacher Körper, ein untriebiger Geist, der zu weit in der Zukunft verweilt und eine angeschlagene Seele, die noch in der Verarbeitung dieser ganzen wilden Reise feststeckt. Jeder Tag ist eine Grenzerfahrung und lehrt mich wie weit ich mit meinen momentanen Ressourcen gehen kann. Gleichzeitig nehme ich wie ein Neugeborenes meine Umwelt mit neuen Sinnen wahr, als ob ich sie noch nie zuvor erlebt hätte. Meine ersten Schritte durch den Park nebenan sind wie eine Entdeckungsreise der Sinne für mich. Verschiedene Farben, der Duft unterschiedlicher Blumen, das Zwitschern der Vögel und der Schotterweg unter meinen Füßen wirken alle gleichzeitig auf mich ein. Nach den reizlosen Wochen in einem Zimmer fühlt sich die Zeit, die wir draußen verbringen (wenn diese derzeit auch aufgrund fehlender Energie noch recht kurz ausfällt) wie neues Leben an.


In diesem neuen Leben bin ich jedoch alles andere als angekommen. Neben meinen körperlichen Erfahrungen, die neu für mich sind, kämpfe ich damit, mich innerlich vom Krankenhaus und der damit einhergehenden Sicherheit, zu lösen. Ich träume nachts davon, dass jederzeit jemand zum Messen oder Infusion abhängen in mein Zimmer kommt, wache dadurch mehrmals auf und muss mich davon überzeugen, dass ich zuhause bin und hier ungestört sein kann. Mein Körper ist müde und erschöpft aber mein Geist und die Gedanken lassen mich nicht einschlafen. So ist es nicht nur einmal vorgekommen, dass ich um 3 Uhr morgens aufwache und danach kein Auge mehr zumachen kann, mich anderweitig beschäftige bis der Tag heranbricht.

Ich habe in den letzten Monaten mehr Zeit im Krankenhaus verbracht als in meinem Zuhause und die Heimaturlaube dazwischen stellten nur kleine Übergangsphasen der Erholung vor der nächsten Etappe dar.

Mein Geist hat die Tatsache bereits begriffen, dass ich mein Zuhause im besten Fall nun nicht mehr so schnell verlassen werde und mich daher in die Geborgenheit des vertrauten Heimes fallen lassen kann. Dieser ist bereits mit Plänen für Herbst und die Zukunft "danach" beschäftigt. Nicht so aber meine Seele, die gefühlt noch immer in der Türschwelle sitzt und sich keinen Zentimeter hinein traut.

Sie hadert mit diesem Körper, schaut über die Schulter zurück und kann sich nur schwer von alledem lösen was monatelang in so rasanter Zeit geschehen ist. Diese Information gibt dir niemand, wie es sein wird, wenn zuhause plötzlich Erinnerungen auftauchen, Ängste aufkommen, die in der Kampfphase kein Thema waren, aber in der vermeintlichen Ruhe nun an die Oberfläche treten. Ich bitte meine Seele mehrfach herein, möchte sie überzeugen, dass wir hier sicher sind und nun das Leben kommt, das wir uns ersehnt haben und nun die Chance bekommen haben es zu erleben.

Leider sind alte Gewohnheitsmuster schneller und leichter abrufbar als die kürzlich neu entwickelten. Es gibt also Tage, da bin ich ungeduldig mit mir und meinen Fortschritten. Das erinnert mich an meine Patient*innen, die nach Gipsabnahme oder Entlassung alle stets geglaubt haben, danach wird alles wie vorher und wie oft ich ihnen zugeredet habe, dass es Zeit und Geduld braucht. Darüber kann ich als Patientin nun selbst nur lachen, denn Zeit und Geduld nehme ich mir nicht jeden Tag für diesen hart arbeitenden Körper, der im Inneren ein neues System hochlädt.


Um also Fragen wie: "Wie geht's dir?" oder "Hast du dich schon zuhause eingelebt?" zu beantworten: Meine körperliche Hülle ist im Hier und Jetzt und wandelt mal besser mal schlechter durch jeden Tag. Meine Seele versucht die emotionalen Wunden der letzten Monate zu heilen und mein Geist vertreibt sich die Zeit mit Zukunftsplänen. Bin ich also zuhause angekommen? Ich bin hier in meinem Zuhause, aber angekommen bin ich noch nicht.

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