Es war einmal, der immer gleiche Tag im Krankenhaus
Tag 21 im AKH Wien, in der Rolle der Patientin und von äußeren Umständen erheblich fremdbestimmt. Ein kleiner Einblick in die Gefühlswelt und den immer wieder gleichen, monotonen Tagesablauf:
Vom Auf- und Zuknallen der Türen wache ich jeden Morgen zwischen 7:00 und 7:30 Uhr auf, blicke mich etwas verwirrt um und seufze bei der Tatsache, dass ein neuer Tag anbricht, der dem zuvor gleicht. Mit singendem "Guten Morgen" schwebt eine Armada an Helferinnen in das Zimmer hinein, stellt einen frischen Wasserkrug und ein Glas auf den Pflegetisch, der auf wunderliche Weise bei den vielen Utensilien, die darauf Platz finden müssen noch immer nicht zusammengebrochen ist. Dann kommt dieses ominöse Tablett mit dem Essen, überzogen von hellblauen Schutzkappen und die tägliche Frage, was sie einem denn heute wieder auftischen, dass man meistens so nicht bestellt hat. Die erste Frustration des Tages ist also der Blick aufs Tablett und die Feststellung, dass es mit der Essensbestellung wieder einmal nicht funktioniert hat. Wenigstens das schwarze Gold am Morgen tut seine Wirkung, wenn auch nicht der geschmackliche Höhepunkt an Koffein, so erfüllt es dennoch den Zweck. Um nicht schon wieder das Essen zu verweigern aus blankem Missmut über die gleiche Zusammenstellung tagein, tagaus, streiche ich mir das gefühlt hundertste Frischkäsebrot. Ehe der Festschmaus meine Lippen nur ansatzweise berührt, kommen die Blutsauger herein. "Ach, kein Problem, machen wir", entgegne ich der netten Pflegerin und so beginnt die nächste Routine des Tages: Blutabnahme, Antibiotikainfusion und Knochenmarkstimulationsspritze.
Das Frühstück wird sowohl oral als auch intravenös fortgesetzt, bis die nächste Unterbrechung sogleich folgt. Geheimnisse und Privatsphäre sind in einem Krankenhaus leider weder möglich noch förderlich wenn es um die Gesundheit geht. Immerhin dienen ja alle Informationen dem Zweck uns zu helfen, richtig? Also beantworte ich während meinem "Wiener" Kaffeehausfrühstück Fragen über meinen letzten Stuhlgang, die Körpertemperatur, Schmerzen und bekomme Messgeräte an den Finger gesteckt zum Messen der Sauerstoffsättigung und des Puls.
Nun warte ich, bis ich von der Infusion befreit werde, um einen Moment Freiheit, Intimität und "Wellness" genießen zu können. Es geht in die Dusche, einer der einzigen Momente in denen ich ganz allein und ungestört bin. Ich betrachte mein Spiegelbild, die blauen Flecken von den täglichen Spritzen, der zurückgegangene Hautausschlag rund um den Hals und im Dekolletee, sowie meine Igelfrisur, die vielen dunklen Stoppel, die bereits in wenigen Wochen um einiges gewachsen sind. Ich frage mich, wann und ob sie ausfallen werden. Ich wasche diesen Körper mit jeglichen desinfizierenden, hautfreundlichen Waschlotionen, nach denen man irgendwie kein "Frisch-aus-der-Dusche"-Gefühl haben kann. Die gleichen Handgriffe wie jeden Tag: Wäsche im dafür vorgesehenen Eimer abwerfen, Zähne putzen, Ausschlag mit den notwendigen Cremen versorgen und im Bett wieder auf eine Pflegeperson warten, welche meinen Verband um den ZVK neu macht. Verband wird in endlosen Schleifen um meinen Hals gewickelt und der Rollkragen sitzt wieder perfekt für den Tag.
Es beginnt eine Art "Freizeit-Phase", in der man selbst bestimmen kann, ob man weiter im Bett sitzen bleibt oder sich einer anderen Art von Betätigung widmet, bevor die nächsten Pflichtpunkte der Tagesordnung anbrechen. Ich spaziere durch die Station, mache meine Physioübungen mit der gleichen Workoutmusik wie zuhause, mit dem Unterschied, dass der Spaß nach 10 Minuten aufgrund körperlicher Erschöpfung vorbei ist. Ich besuche meine ehemalige Zimmernachbarin, fühle mich dabei selbst eher in der Rolle der Therapeutin, weiche anderen Mitpatient*innen am Gang aus, um mich den vergleichenden Gesprächen über den Allgemeinzustand nicht aussetzen zu müssen. Selbst in dieser Situation ist der Mensch auf Vergleiche aus und redet gerne alles schlecht und gewonnen hat sowieso der*diejenige, welche*r die meisten Nebenwirkungen aufzuweisen hat. Mein positives, optimistisches, kämpferisches Gemüt wird von einer Welle schlechten Gewissens geplagt, weil es mir ja viel zu gut geht im Vergleich und so spaziere ich lieber wieder ins Zimmer zurück. Ich beginne kurz darüber nachzudenken, ob es mir denn schlechter gehen sollte, nach dem was ich am Gang gehört habe. "Wirkt meine Chemotherapie auch richtig?" "Sollte ich Fieber haben?" "Lacht sich die Leukämie in meinem Körper ins Fäustchen, weil sie noch immer in voller Stärke da ist?"
In der Langeweile kommen Gedankenspiralen auf und diese versuche ich mit einer therapeutischen Schreibsession zu lösen, so gut es eben geht. Ich versuche die Psychologin ausfindig zu machen, doch wie bei so vielen Berufsgruppen im Krankenhaus, herrscht hier Unterbesetzung. Es wird langsam spürbar, dass es an Personal und Zeitressourcen fehlt und ich muss meine innere Kritikerin ebenfalls zeitweise bekämpfen und mir eingestehen, wenn ich Hilfe benötige. Ich bin also stolz auf mich, als ich selbst die Psychologin um ein Gespräch bitte. Unter spürbarem Zeitdruck und dem Gefühl rasch abgefertigt zu werden sitze ich auf der Couch und beginne seit Langem wieder zu weinen, denn die Information, dass ich nun hier bin um meine Leukämie zu bekämpfen und nicht wie geplant mein MDS, sickert nur langsam zu meiner Seele hindurch. Ich werde mit einigen harten Aussagen der Psychologin abgespeist wie "Es muss ordentlich rumpeln, dann wissen wir es wirkt", "Die meisten Patient*innen machen 2-3 Chemozyklen durch, bevor es tatsächlich zu einer Stammzellentransplantation kommt". Ich verlasse nicht nur etwas verwirrt den Raum, sondern auch beunruhigt, denn wie vorhin oben beschrieben, sind gerade das meine Themen, ob denn alles richtig verläuft und ich bin auch nicht darauf vorbereitet endlose Zyklen über mich ergehen zu lassen. Na gut, hilft nun nichts, zurück ins Zimmer und weitermachen im Plan......
Hin und wieder schaut die Physiotherapeutin herein, was für mich jedes Mal wieder mit einem leichten Wehmut über meine eigene berufliche Tätigkeit als Ergotherapeutin verbunden ist, mir aber auch Freude bereitet, denn es ist eine willkommene Abwechslung. Manchmal schmunzele ich über die mir durchaus bekannten Übungen, die ich auch schon selbst mit Patient*innen ausgeführt habe.
Danach beginnt wieder das nächste Pflichtprogramm.
Gegen 11:30 Uhr wird mir das nächste Tablett mit hellblauen Schutzkappen vorgesetzt und mit Widerwillen schaue ich auf die Beschreibung, nur um wiederum enttäuscht zu werden. "Wozu fülle ich eigentlich einen Speiseplan aus, nach bestem Gewissen um mich hier irgendwie abwechslungsreich zu ernähren, wenn ich seit drei Tagen Mehlspeisen serviert bekomme?" Ich schiebe das Tablett appetitlos von mir weg und erweitere meinen gedanklichen Speiseplan für die Zeit zuhause. Das Essen wird nicht angerührt, weil um die Mittagszeit auch die Visite unterwegs ist, allerdings fühlt es sich nach einer halben Ewigkeit an, bis diese von ihrer Position vor der Tür tatsächlich ins Zimmer hereinspaziert. Eine Armee an Ärzt*innen, Pflegepersonen und wer weiß wer der Rest der Mannschaft noch ist, trudelt ein und stellt sich auf. Hier ist nun die Gesundheitskompetenz und Eigeninitiative als Patient*in gefragt, denn wenn man nicht schnell genug seine eigenen Fragen und Anliegen vorbringt, sind sie auch schon wieder weg. Wenn man nicht zufällig durch Nachfrage eruieren konnte, ob man heute noch Blutkonserven oder sonstige Zusätze erhält, dann bleibt einem zumindest diese Überraschung für den Nachmittag/Abend übrig.
Nennen wir die nächste Phase einmal Mittagspause, der Zeitrahmen in dem nichts passiert, man aber irgendwie auch selbst einmal innehält und ein gutes Mittagsschläfchen hält, wenn man das Glück hat vor der schnarchenden Zimmernachbarin einzuschlafen, denn sonst wirds kein Schläfchen, sondern eher ein Musik hören mit Decke anstarren.
Ab 14:00 Uhr beginnt die Besuchszeit und wenn ich weiß, dass jemand angekündigt ist, beginne ich ab diesem Zeitpunkt bereits leicht aufgeregt zu werden, traue mich nicht mehr viel anzufangen, denn es könnte jederzeit soweit sein, dass jemand bei der Tür reinkommt. Das Warten auf den Besuch ist leider oftmals wieder eine Phase an Gedankenschleifen, die ich durchkauen muss, bis die ersehnte Ablenkung davon kommt. Des Weiteren hoffe ich, dass die Nachmittagsinfusion noch an- und auch wieder abgehängt wird bevor mein Besuch kommt, denn dann mache ich mich aus dem Staub. Es ist Zeit für einen Tapetenwechsel: Raus aus der Station, mit dem Lift auf Ebene 5 und ins Getümmel anderer Menschen. Ich beobachte Familien, andere Patient*innen, überlege mir Geschichten zu den Menschen, die ich um mich herum sehe und genieße meistens mittlerweile immer die gleichen Getränke bei Starbucks, Anker und Co., aber das macht nichts, denn hier habe ich kurz das Gefühl eine normale Freizeitaktivität mit Freund*innen und Familie auszuführen. Anstatt von mir und meinem Gesundheitszustand zu sprechen, möchte ich von der Außenwelt erfahren. Ein Tor nach draußen öffnet sich durch den Besuch, ein Hauch von Normalität und dem Leben, das ich wieder haben möchte.
Mein Blick geht ständig zur Uhr, denn um 16:30 Uhr gibt es Abendessen und wehe ich komme zu spät zurück und esse nicht, denn die Küchenhelfer*innen machen um Punkt 18:00 Uhr Dienstschluss und einige nehmen diesen sehr ernst und beginnen bereits um 17:30 Uhr alles wegzuräumen. Also schleppe ich den Besuch wieder ins Zimmer zurück, blicke wiederum frustriert unter den hellblauen Deckel und esse was man hier einen "Gemüseeintopf" nennt, mein Gemüse mit Wasser und ohne jeglichem Geschmack. Seit einigen Tagen esse ich nur um Kraft zu bekommen, wobei fraglich ist wieviel Kraft man aus Gemüse mit Wasser mit einer Gesamtkalorienbilanz von 130kcal ziehen kann.
Die Zeit läuft und ich fühle mich gestresst aus meinem Besuch noch alles rauszuholen, denn um 19:00 Uhr ist der Zauber der Außenwelt wieder vorbei und ich winke meinen Liebsten, bis sich die Lifttür zwischen uns schließt.
Es folgt meine Abendroutine: das Anziehen der Patient*innenuniform alias dem Nachthemd, Zähne putzen, Ausschlag versorgen und schließlich auf die Couch bzw. das Bett chillen. Die ideale Fernsehposition im Bett habe ich noch immer nicht gefunden, in der ich nicht in mir verdreht liege. Ich durchstöbere Netflix und Co., danke wiederum meinem WLAN-Router, der mir zumindest ein bisschen Entertainment erlaubt und stecke meine Kopfhörer in die Ohren, nur um sie Minuten später wieder rauszunehmen, weil der Nachtdienst hereinkommt. "Brauchen Sie etwas für die Nacht?" Ich bestelle mir wieder meine Schlaftablette, die Pflege verlässt das Zimmer, kommt wieder und dann ist Ruhe bis 22:00 Uhr, denn da ist es Zeit für meine letzte Antibiotikainfusion. Ich versuche bis dahin wachzubleiben, was nicht immer gelingt, dann wache ich wieder von der Tür und dem Licht auf, es wird an meinem Hals herumgefummelt, angehängt und die Tür schließt sich wieder. Ich greife zu meinen Ohropax, um die Geräusche des Dschungels um mich herum inklusive seltsamer Tiere, die schnarchen, auszumachen und döse ein. Nicht lange, denn die Tür schwingt wieder auf, Licht durchflutet das Zimmer und die Infusion wird abgehängt. Ich drehe mich um und seufze: "Das war's, wieder ein Tag geschafft, das war der letzte Programmpunkt und morgen spielen wir dasselbe Spiel nochmal."
Ein Tag in einem Krankenhaus aus der Sicht einer Patientin. Nun können wir Patient*innen vielleicht besser verstehen, wenn sie sich über Besuch, Therapie oder jeglichen noch so kleinen Anflug einer Abwechslung in dieser Endlosschleife freuen.
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Hallo jasmin
liegst du eigentlich alleine und isoliert oder hast du zimmergenossen ? Hoffe du langweilst dich nicht zu sehr !
Frage Jasmin, kannst du Lesestoff brauchen? Wenn ja, lasse es mich durch Manuel wissen. Sag ihm, welches Buch du gerne möchtest. Ich werde es mit ihm mitschicken. Liebe Grüße Christa "Tschisti"