1, 2 oder 3?! Ob ich wirklich richtig steh'?
Die Monate vergingen immer mit den gleichen Worten „Alles stabil.“
Es dauerte eine bestimmte Zeit mit vielen Höhen und Tiefen bis ich nach und nach begann ein Bauchgefühl zu spüren, gefolgt von einer starken Stimme, die einen Zukunftswunsch äußerte, für den es sich zu kämpfen lohnt.
Meine Prioritäten begannen sich auf dieser dysplastischen Reise neu auszurichten. Ich hätte mir zwar gewünscht diesen Prozess ohne diese beschissene Diagnose zu durchlaufen, aber mittlerweile sah ich meine Krankheit durchaus als Chance an, mein Leben umzukrempeln.
Der Gedanke ich könnte in Erwartung der Verschlechterung meines Zustands einen der wichtigsten Träume in meinem Leben verabsäumen, war auf einmal unerträglich. EINE FAMILIE. Ohne MDS hätte ich diesen Wunsch wohl einige Jahre später erst verspürt, aber die Würfel wurden neu geworfen und all mein Streben nach Projekten, Erfolgen und mein Freizeitstress fühlten sich nicht mehr wichtig an. Ich wollte endlich wieder selbst über mein Leben bestimmen und die Entscheidungen nicht an medizinischen Ergebnissen festmachen. Ziemlich rasch begannen sich 3 Szenarien in meinem Kopf abzuspielen. Ein Lebensweg mit 3 Abzweigungen, die allesamt in die Zukunft führten, aber nur einer sollte MEINER werden, ohne Rücksicht auf das was andere davon hielten oder was besser bei anderen ankommt.
1. Wir sagen MDS den Kampf an und lassen es hinter uns!
MDS ist gekommen, um zu bleiben, bis zum Endkampf. Vorher würde es nicht aus meinem Leben verschwinden und weiterhin alle großen Entscheidungen des Lebens unter einen grauen Schatten stellen.
Diese Option ist eine Kampfansage: Ich kämpfe für das sorgenfreie Leben in der Zukunft. Ich nehme meine Krankheit und die Verantwortung dafür selbst in die Hand, ergreife die Initiative und fordere ein, was mir zusteht: meine Heilungschance. Die, wie mir noch vor 1 Jahr gesagt wurde, durchaus nicht gering ist und mir ermöglicht diesen Schatten hinter mir zu lassen und dieses Kapitel in meinem Leben zu schließen um nach vorne schauen zu können.
Ziel: Mit 30 gesund zu sein und in eine verheißungsvolle Zukunft mit allen Möglichkeiten blicken!
2. Leben wir einfach vor uns hin!
Wenn ich laut Ärzten mein Leben weiterleben soll, dann auch mit allen Wünschen die ich an dieses Leben habe. Eine ganz neue Stimme in mir wurde laut, die einer Mutter. In diesem Szenario sah ich mich mit einem Kind in den Händen, allem Risiko zum Trotz eine Schwangerschaft überstehen, die eine große Wahrscheinlichkeit birgt eine akute Leukämie zu entwickeln (was einem aber auch weder Onkolog*innen noch Gynäkolog*innen tatsächlich prophezeien können, denn wie so oft bin ich ein Einzelfall und es gibt keine Erfahrungen mit schwangeren MDS Patient*innen). Also ein unbetretener Weg, dessen Ende niemand abschätzen kann, weil es keine Erfahrungswerte gibt.
Die Mutterstimme war laut, stark und ignorierte zunächst alle Bedenken meines Mannes und der Ärzte.
Doch was steckte tatsächlich hinter Wunsch Nummer 2? Ich begann mich selbst zu durchschauen und erkannte, dass es nur ein Ablenkungsmanöver war. Ein Weg, bei dem ich dem Abwarten meiner Ärzte gerecht werden konnte, selbst eine neue Aufgabe zur Beschäftigung bekam um mich nicht mit MDS herumschlagen zu müssen und vor allem dem Leid und Schmerz einer SZT zu entgehen.
3. „Schau ma moi, dann seng ma eh!“
Der Ansatz der Ärzteschaft, die zuwarten wollte, bis sich mein Zustand deutlich verschlechterte.
Wer diese Verschlechterung jedoch aussitzen und ertragen musste, war und bin ich. Es könnten Monate oder auch Jahre sein, die auf diesem Weg vergehen, bis meine Krankheit mich niederreißt und selbst dann darf es mir auch wieder nicht „zu schlecht“ gehen, um die Behandlung gut überstehen zu können. Diese Option beruhte auf Zahlen, Statistiken und Werten. Die psychische Komponente wurde keineswegs beachtet, sie lässt sich immerhin nicht in Werte auf einen Zettel niederschreiben. Das Surreale dabei war, dass auf etwas Negatives, das Schlechte gewartet wurde. Weder meine Vernunft, noch mein Herz konnten dies nachvollziehen. Mit allem was ich habe lehnte ich vor allem diese Option ab. Es war bereits 1 Jahr mit dieser Option vorübergegangen. Ich bewundere alle Menschen, die es schaffen, mit ihrem Beifahrer weiter zu leben und zu warten was passiert. Aber es lässt sich weder mit meiner Persönlichkeit, noch mit der Art und Weise wie ich Dinge angehe, vereinbaren.
1, 2 oder 3 … letzte Chance vorbei?!
Nach unserer Traumhochzeit im Oktober 2022 und unserer Mexiko-Reise spürte ich es plötzlich mehr denn je: den Wunsch loszulassen um Neues zulassen zu können. Es ist Zeit loszugehen, nicht mehr zuzusehen, wie andere für mich entscheiden, sondern die Kontrolle über mein Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Halte dich gut fest, MDS, jetzt geht’s dir an den Kragen!
Ob ich damit wirklich richtig steh? ... Gibt es überhaupt ein Richtig oder Falsch?
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