Die berüchtigte GvHD oder Was machst du in meinem Körper?
Mittlerweile ist es 71 Tage her, dass deine Stammzellen in meinem Körper eingezogen sind. Bisher haben diese Zellen bereits tolle Arbeit geleistet, meine Blutwerte in die Höhe getrieben und damit für Staunen gesorgt, denn ich laufe mit Werten herum, die ich selbst seit drei Jahren nicht mehr auf einem Befund gesehen habe. Die perfekte Spenderin, die idealen Stammzellen und ich habe bereits vor und während der Transplantation keine Sekunde daran gezweifelt, dass wir beide eine perfekte Einheit in Form eines gesunden Blut- und Immunsystems bilden werden.
Da gibt es nur diese eine doofe Sache, die scheinbar 30-60% der Patient*innen nach einer Stammzelltransplantation betrifft: die akute Graft-versus-Host-Erkrankung (GvHD). Dabei richtet sich der Spender gegen Zellen des Empfängers und es kommt zu einer Schädigung vor allem von Haut, Leber und Darm (Zeiser, et.al, 2022). Für mich war dieser Begriff bei all meinen Recherchen immer mit großer Angst verbunden. GvHD hieß für mich immer Lebensgefahr, da ein großer Teil dieser Reaktionen auch mit der Sterblichkeit von Patient*innen nach einer Transplantation einhergeht. Diese können auch noch Jahre später in Form einer chronischen GvHD auftreten. Die Situation im Untersuchungszimmer war für mich somit dieses Mal angespannt und ich dachte mir nur: "Dieser Begriff war immer begraben unter den Möglichkeiten, die sein "können", aber keine der realen Optionen. Was soll das jetzt also?"
Ich sitze, mich am ganzen Oberkörper kratzend, vor dem Arzt, nehme diese ganzen Informationen auf und sage zu dir: "Ich hab dich doch so freundlich willkommen geheißen in meinem Körper und was machst du da drinnen jetzt? Ich weiß, dass von mir selbst nicht allzu viel übrig bleiben sollte, schon gar nicht die Krebszellen und Blasten aber übertreiben muss man es nun auch nicht."
Der rötlich gepunktete Hautausschlag am Oberkörper ist also eine Abstoßungsreaktion, die bis zu einem gewissen Grad anzeigt, dass die Spenderin es sich im Körper gemütlich macht und sich kraftvoll und bestimmend ausbreitet, aber da bin eben auch noch ich und ein unterdrücktes Immunsystem, dass das alles nicht so gut mitmacht. Ich werde also beruhigt damit, dass das alles bis zu einem gewissen Grad in Ordnung ist und vor allem wenn es mit der Behandlung besser wird.
Ich verlasse das Krankenhaus also wieder mit neuen Medikamenten und als Bonus einer Hautnaht am Unterbauch, denn zur Sicherung der Diagnose braucht es eine Hautprobe, die nun im Labor analysiert wird. "Sie werden sehen, die Narbe wird bestimmt ganz klein und kaum sichtbar sein", versichert mir die Hautärztin. Natürlich, erzählen Sie das den Narben an meinem Hintern, denke ich mir.
Mein Inneres ist zur Zeit also ein Schlachtfeld, ich habe keinen Einblick was sich darin tut, ich kann nur die äußerlichen Auswirkungen interpretieren und darauf reagieren. Zur Zeit erscheint mir mein Körper nicht wirklich wie mein Zuhause, sondern wie ein Naturphänomen, in dem immer wieder etwas ausbricht. Einmal ist es die Blase, dann Fieber, dann der Kreislauf, die Verdauung und jetzt die Haut. Es vergeht keine Woche ohne ein neues Phänomen. Ich hoffe das Spendersystem hat sich bald eingenistet und meine restlichen Zellen entweder im Zusammenleben akzeptiert oder unter seine Herrschaft gestellt, damit alle Zellen in meinem Körper in Frieden und glücklich leben können.
Quelle:
Robert Zeiser, Daniel Wolff, Christof Scheid, Thomas Luft, Hildegard Greinix, Peter Dreger, Jürgen Finke, Ernst Holler, Jörg Halter, Juli 2022. Graft-versus-Host-Erkrankung, akut. Abgerufen am 3. August 2023 von
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