Das „Rehaversum“
Seit einer Woche darf ich nun die, für mich völlig neue Erfahrung einer Reha machen. Zumindest aus Sicht der Patientin und nicht als Ergotherapeutin im Rahmen der Berufspraktika vor vielen Jahren. Ich habe mit mir selbst ziemlich gerungen auf Reha zu fahren, bevor ich mich dazu entschlossen habe, dass es nicht nur mein Recht ist diese in Anspruch zu nehmen, sondern mich auch weiter bei meinem Weg Richtung Gesundheit unterstützen kann. Mehr als „hilfts net, schadets net“ kann ja nicht passieren, oder?
Nun befinde ich mich hier im wunderschönen Bad Sauerbrunn und versuche in 3 Wochen zu mehr Ausdauer, Kraft, Gewicht und vor allem aber psychischer Stabilität, Ruhe und Gelassenheit zu finden, die mich allesamt für den Alltag und Beruf fit machen sollen.
Reha vs. Kur
Das Wichtigste zuerst: Ich bin nicht auf KUR, das ist ganz was anderes, auch wenn es viele mit einer Reha gleichsetzen.
Im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme steht die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit, Förderung der Selbständigkeit, Verbesserung der Lebensqualität und die Teilhabe am Alltag nach akuten Ereignissen wie Verletzungen, chronischen Erkrankungen oder wie in meinem Fall einer Krebserkrankung, im Vordergrund. Körper, Geist und Seele sollen also auf die Führung eines eigenständigen Lebens vorbereitet und/oder dabei unterstützt werden.
Ein Kuraufenthalt dient dem Erhalt der Gesundheit und kann auch ohne vorausgegangenes gesundheitliches Problem als Gesundheitsvorsorge in Anspruch genommen werden.
Mein Zuhause für die nächsten 3 Wochen, das „Rehaversum“ entpuppt sich als eigene Welt mit eigenen Regeln. Ich laufe mit meinem Therapieplan in der Hand durch die verschiedenen Bauteile und fühle mich durch die zeitlich sehr knapp bemessene Therapiezeit eher gestresst als ausgeglichen. Mit Neugierde und durchaus auch fachlichem Interesse beobachte ich die therapeutischen Abläufe und das Angebot. Es ist natürlich klar vorgegeben, welche und wie viele davon bezahlt werden. Meine innere berufspolitische Aktivistin schreit förmlich auf und beklagt sich über das System, das mit fix fertigen Leistungskatalogen und Therapieplänen arbeitet und sich nicht auf die individuellen Bedürfnisse von Patient*innen anpasst. Aber in der Gesundheitsbranche ist das nichts Neues, außer dass ich es nun von der anderen Seite erlebe.
Dann die immer gleiche Frage aller Berufsgruppen:
„Was ist denn ihr Ziel für die Reha?“
STILLE! Was soll ich antworten? Was will ich eigentlich? Wo will ich hin? Wie geht es weiter mit mir? Was kommt nach der Reha? Bin ich dann rehabilitiert?
Ich weiß es nicht und antworte: „Ich bin hier, um herauszufinden, wie es denn in meinem Leben weitergehen soll.“ Ein freundliches Lächeln und Nicken, gefolgt vom raschen Tastenklimpern des Computers und schon werde ich aus dem Raum verabschiedet und weiter geht’s. Doch eine Frage hallt immer wieder in meinem Kopf nach:
„Wer bin ich nach der ganzen Achterbahnfahrt im vergangenen Jahr? Und wo soll diese Reise überhaupt hingehen?“
Meine Gedankenspiralen holen mich immer wieder ein. Ich bin getrieben von den vermeintlichen Erwartungen der Außenwelt an mich, der Angst, dass bestimmte Dinge vielleicht nie wieder so funktionieren werden wie vorher und dem andauernden Austesten meiner eigenen körperlichen und seelischen Grenzen. 3 Wochen Zeit, um alles in Ordnung zu bringen ist wohl der falsche Ansatz, aber es drängt sich mir dieser Gedanke immer wieder auf, dass ich danach wieder funktionieren und liefern muss. Oder zumindest einen Zukunftsplan für mein Leben geschmiedet habe.
Dazu kommt die soziale Umwelt in dieser 3-wöchigen Blase. Ähnlich wie bereits im Krankenhaus selbst, bin ich von Menschen umgeben, die alle schlimme und zum Teil lebensbedrohliche Krankheitsphasen durchlebt haben. Sobald die imaginären Pausenglocken erklingen und alle in den Speisesaal strömen oder in der therapiefreien Zeit aufeinandertreffen, beginnt die für mich größte Herausforderung. Ich beginne erneut mich mit anderen zu vergleichen, identifizieren oder versuche gar anderen zu gefallen, mich sympathisch zu machen. Die gesunde Abgrenzung und vor allem aber das Bewusstsein dafür, dass diese Wochen MEINER Gesundheit dienen und nicht jener von anderen, werden in diesen Phasen besonders auf die Probe gestellt. „Sie sind nicht hier, um Freundschaften zu knüpfen, sondern das bestmögliche Ergebnis für Ihre Gesundheit zu erzielen. Lassen Sie sich dabei nicht zu sehr von anderen beeinflussen und schauen Sie auf sich“, rät mir eine Psychologin in meinem Alter.
Und wie zu Schulzeiten geht es mit diesen Hintergedanken für mich nun in den Pausenhof.
Der „Pausenhof“
Mein junges Alter macht mich hier nicht nur optisch zur Außenseiterin. Es ist schon ein sehr auffälliges Alleinstellungsmerkmal, wenn man sich umschaut und der Altersdurchschnitt deutlich über dem eigenen liegt. Dazu kommt, dass viele Programme eindeutig auf dieses höhere Alter ausgelegt sind. Ich habe aber bereits Übung darin mich wie ein Chamäleon anzupassen und das Beste aus meiner Situation zu machen. Ich habe die Gabe mich rasch in Gespräche einzuklinken und eine Gemeinsamkeit zu finden, aber möchte ich das tatsächlich auch immer?
Manchmal erinnert die Gruppe in einem Rehazentrum an die Schulzeit. Es gibt die „coolen“ Kids, die wie eine Clique immer am selben Ort und in der gleichen Zusammenstellung zu finden sind. Als ehemalige Mitläuferin zu Schulzeiten besteht hier immer ein gewisser Drang danach, dazuzugehören. Doch wie sehr muss man sich verbiegen, um cool zu sein und will man das dann auch noch sein?
Auf der Suche nach der richtigen Gruppe trifft man auf verschiedenste Persönlichkeiten und wie im Pausenhof sucht man unweigerlich, weil es eben in der Natur des Menschen liegt, seinen Platz. Wir wollen im Grunde alle irgendwo dazugehören, aber manchmal vergessen wir dabei unsere eigenen Bedürfnisse oder auch unsere Werte. Im Rehaversum bin ich bisher folgenden Gruppen begegnet (bitte mit Sarkasmus und Humor lesen nicht vergessen 😉):
· „All inclusive- Erholungsurlauber“. Für manche scheint die Reha eben genau das zu sein. Ein günstiger, zum Teil finanzierter Wellnessurlaub mit angenehmen Wohlfühlbehandlungen, denn alles andere ist zu anstrengend oder unangenehm. Beschwerden über das Entertainment-Programm und das Essen sind natürlich auch inkludiert.
· Die Wiederholungstäter und Expert*innen. Sie greifen auf mehrjährige Erfahrung im Rehaversum aber auch mit ihrer Erkrankung zurück. Einige von ihnen sind bodenständig, geerdet und scheinen sich im Wirrwarr nach einer lebensbedrohlichen Erkrankung bereits sehr gut zurechtzufinden. Sie können eine erste Orientierungshilfe für Neuankömmlinge sein, aber Vorsicht vor dem Vergleich mit den eigenen Erfahrungen und vermeintlichem „Wissen“. Sie geben Empfehlungen über Therapien, Förderungen und darüber ab, wie man am besten gleich wieder auf Reha fahren kann. Viele gut gemeinte Ratschläge werden gegeben.
· Neuankömmlinge oder Frischlinge. Wie Erstsemester schleichen sie die ersten Tage durch die Hallen, verunsichert darüber was auf sie zukommt. Lauschen bereitwillig und wie Erstklassler allem, was ihnen vorgetragen wird. Eine wahre Informationsflut bricht von allen Seiten über sie herein. Es ist leicht sich in dieser Position alles Mögliche einreden zu lassen, wenn man noch nicht so fest im Sattel sitzt, um sich abzugrenzen und herauszufinden, was einem selbst gut tut.
· Leidensgenossen. Es gibt sie immer und überall, im Krankenhaus als Zimmerkolleg*innen bis zur Reha und auch noch nach vielen Jahren der Erkrankung. Am liebsten wird darüber gesprochen, wie schlimm nicht alles war und dass nichts mehr so ist wie früher, aber mit Fokus auf das Negative, nicht die positiven Erkenntnisse und Erfahrungen, die gemacht wurden. Oftmals ist Schmerz auch ein zentrales Thema, das häufig thematisiert wird und jegliche Therapien getauscht und gestrichen werden müssen. In vielen Fällen mag dies tatsächlich erforderlich sein, aber manchmal überkommt einen das Gefühl, ob es sich nicht doch auch um die Schüler*innen handelt, die eine Entschuldigung wegen Bauchweh erbringen, um nicht mit dem Strom mitschwimmen zu müssen.
· Die „in sich“ Angekommenen. Sie erscheinen selbstbewusst, in sich ausgeglichen, strahlen Ruhe und Gelassenheit aus und lächeln einem freundlich zu. Sie gestalten den Tag nach ihrem eigenen Rhythmus, verlassen sich auf das eigene Gefühl und scheinen immun gegen Gruppenzwang und Gefallen-wollen zu sein. Die Erkrankung wird als Teil des Ganzen angesehen, nicht als Hindernis. Ich konnte schon einige inspirierende Gespräche führen über die Erkenntnisse, die diese Menschen auf ihrem Weg gewonnen haben. In meiner Schulzeit hätte ich diese Gruppe vielleicht manchmal als „Alternativler“ oder spirituelle Freaks angesehen, aber heute strahlen sie für mich jene Zufriedenheit und Ruhe aus, die ich selbst gerne beherrschen würde.
Ich beschließe, mich tatsächlich auf die Worte der Psychologin zu konzentrieren und mich nicht in ein vorübergehendes soziales Gefüge hineinzupressen. Bin ich also asozial oder gar unhöflich, wenn ich mich zurückziehe und nicht stundenlang mit anderen zusammensitzen möchte? Ich habe mein ganzes bisheriges Leben immer unter Menschen verbracht und geglaubt, dass es das ist was mich ausmacht und mir auch gefällt. Allerdings lerne ich neuerdings, dass ich viel mehr Ruhe und Zeit für mich brauche als bisher und das ich nicht mit allen Menschen eine Verbindung spüre. Allein sein zu wollen heißt nicht, dass man einsam ist. Aber es erfordert eine gewisse Übung mit sich selbst Zeit zu verbringen. Genau das ist meine Schwäche und meine Aufgabe für die nächsten Wochen. Ich möchte mich selbst nicht verlieren, weil ich mich hinter anderen Menschen verstecke, sondern das eigene Bedürfnis nach Ruhe und Abenteuer spüren und entsprechend darauf reagieren.
„Wenn Sie sich JETZT nicht die Zeit geben, vollständig gesund zu werden, dann werden Sie in kürzester Zeit nach einigen Jahren wieder vom System aufgefangen werden müssen“. Die Worte der Sozialarbeiterin erinnern mich daran, dass ich wieder in meinem persönlichen Schnellzug sitze, der von außen gelenkt wird. Ich muss JETZT bremsen und das Steuer in die Hand nehmen, bevor…..ja was kann denn noch passieren?
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