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Die Karmabonuspunktebox


Dieser Begriff ist mir während einer Therapiesitzung eingefallen und er beschreibt ganz gut wie sich der Umgang mit manchen Menschen im Leben (einer Krebspatientin) anfühlt. Ganz nach dem Motto "gut gemeint", aber hat sich das Gegenüber dabei auch tatsächlich "gut gefühlt"?


Eine schwere Erkrankung löst bei verschiedenen Persönlichkeiten unterschiedliche Mechanismen aus. Während sich manche zurückziehen und das Problem scheinbar "wegignorieren" oder totschweigen wollen, gibt es auf der anderen Seite die Gruppe von Menschen, die ich als "Karmapunktesammler*innen" bezeichne. Beide Sorten sind weder gut noch schlecht oder eine besser als die andere und an dieser Stelle möchte ich auch betonen, dass diese Zeilen auch nicht boshaft, verurteilend oder in irgendeiner Form wertend gemeint sind. Es geht eher um einen gedanklichen Anstoß in Richtung menschlichen Umgang mit Menschen in Ausnahmesituationen und einem Stück weit Selbstkritik und -reflexion wenn es um das eigene Verhalten geht.


Was bedeutet Karma eigentlich?

Karma kommt aus der hinduistischen Philosophie und bedeutet "Handeln". Wenn wir von Karma sprechen, meinen wir meistens jenes Konzept, welches von der Gesetzmäßigkeit zwischen Ursache und Wirkung handelt. Das bedeutet, dass jede unserer Handlungen im Leben unweigerlich zu einem bestimmten Ergebnis führt, im positiven wie im negativen Sinn (https://religion.orf.at/v3/lexikon/stories/2560788/).


Ich möchte mich hier nun vor allem mit den oben genannten "Karmapunktesammler*innen" auseinandersetzen, denn die Gruppe jener Personen, die sich zurückziehen ist schwer greifbar und damit auch nicht jene, welche sich in erster Reihe meldet und anbietet. Dies ist ein normaler Bewältigungsmechanismus von Krisen und Schicksalsschlägen, vor allem wenn wichtige Menschen betroffen sind, aber es führt eben auch dazu, dass man sich aus der Situation entfernt und herausnimmt. Nochmal zur Erinnerung: Es gibt kein Richtig und Falsch, Gut und Böse, aber schließlich muss jede*r selbst jeden Tag, in jeder Situation eine Entscheidung bzw. eine Position wählen.


Zurück zu den Karmapunktesammler*innen (ich drifte nur zu gern ab). Ähnlich wie bei den beliebten Rabattmarkerl diverser Supermarktketten, werden Punkte beim Karma gesammelt, die sich danach in Form von Glück oder Unglück wiederum in unserem Leben zeigen. Ich glaube prinzipiell auch daran, dass alles was man im Leben gibt und wie man mit Menschen, Lebewesen und der Natur umgeht, durchaus in verschiedensten Formen oder auch Erlebnissen eines Tages wieder zu uns zurückkommt, wie ein Boomerang. Dennoch sollte man das Karma eben nicht mit einer Art Bonuspunktebox verwechseln, aus der ich mir danach viel Glück für den Rest meines Lebens erwarte, indem ich vermeintlich "armen, leidenden" Menschen alle meine Energie, Aufmerksamkeit und Liebe schenke, ohne diese zu fragen, ob sie diese überhaupt beanspruchen wollen.

Nun sind wir genau bei dem zweischneidigen Schwert von gutem Karma. Es gibt Menschen, die vollkommen selbstlos und auch ohne Aussicht auf Belohnung in welcher Form auch immer handeln. Dann gibt es aber auch unsere Punktesammler*innen, die nicht ganz selbstlos bei ihrem vermeintlich gutem Handeln vorgehen. Wer kennt es nicht, wenn jemand sich nach dem Befinden erkundigt und man irgendwie bereits das Gefühl hat, dass dies nicht ganz aus bloßem Interesse geschieht, sondern aus purer Neugier, Höflichkeit oder auch schlechtem Gewissen?


Die Gesprächsbasis erscheint holprig, ohne tieferen Kern und beginnt wie so oft mit dem typischen "Wie geht's dir denn?" Vielfach habe ich auf diese Frage tatsächlich mit meiner momentanen Befindlichkeit und Tagesverfassung geantwortet, nur um anhand der Mimik und Gestik meines Gegenübers zu realisieren, dass ein Krankheitsupdate gewünscht wurde und nicht der langweilige "Alltagszustand." Mit diesem Update können unsere Karmapunktesammler*innen somit einerseits beim nächsten Tratsch den neuesten Stand weitererzählen, andererseits aber auch ihr eigenes Gewissen beruhigen, weil man ja einer schwerkranken Person vermeintlich "geholfen" oder sich angetragen hat und sich selbst das Sternchen in den Sammelpass für Nächstenliebe kleben. Die goldene Regel wurde entsprechend eingehalten, Hilfsbereitschaft gezeigt und man schläft wieder eine Nacht besser.


Auf der anderen Seite steht jedoch das Gegenüber, oftmals leicht verwirrt, wenn nicht auch etwas gekränkt über die schnelle Abfertigung und die Beendigung des Gesprächs, sobald der Sinn und Zweck für den*die Gesprächspartner*in erfüllt wurde. Ich blieb sehr oft leicht verletzt zurück bei diesen Gesprächen, die nach einer Minute vorzeitig beendet wurden, indem sich Menschen von mir abwandten, sich plötzlich anderen Gesprächen gewidmet haben oder schlichtweg keine Lust mehr auf emotionale Ergüsse meiner Wenigkeit hatten. Sie schalteten mich und mein Problem also aus ihrem Leben ab, drehten den Kopf weg oder suchten sich am Tisch neue Gesprächspartner*innen.

An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich hier nicht boshaft gegenüber diesen Menschen hinüberkommen möchte, denn ich denke dass dahinter im Grunde nur tiefste Überforderung mit der Situation steckt. Dennoch habe ich hier einen guten Rat für all jene, die aus schlechtem Gewissen heraus fragen oder Interesse kundtun: Es ist nicht nur die falsche Motivation für den Kontakt mit Menschen, die aus welchen Gründen auch immer gerade eine schwierige Zeit durchmachen, sondern fühlt sich beim Gegenüber auch nicht authentisch an. Man wird sensibler und auch empfindlicher was bestimmte Schwingungen in zwischenmenschlichen Beziehungen angeht und somit merkt man sehr schnell, wer sich gerade unwohl fühlt und plötzlich tritt ein eigenartiges Phänomen auf:


Wenn Betroffene zu Helfer*innen werden (Das umgekehrte Helfer*innensyndrom)

Die Rollen scheinen sich aufzuheben und zu verschieben. Als Betroffene fühlt man sich plötzlich in der Rolle und Verantwortun, dem Gegenüber aus dieser seltsamen Situation heraushelfen zu müssen und beginnt sich in die Lage hineinzufühlen und entsprechend zu handeln. Ich habe das öfter erlebt und gekontert mit einem Scherz, einer Umarmung, einer Gegenfrage über ein bedeutsames Thema für mein Gegenüber und habe somit die Lage deeskaliert. Unschöne Wahrheiten über meinen tatsächlichen Krankheitszustand, Schmerzen oder Sorgen wurden abgemildert, ausgelassen oder bagatellisiert, nur um Freund*innen, Bekannte und/oder Familie zu beruhigen. Fazit von solchen Gesprächen allerdings: Mir haben sie Energien geraubt und somit nichts gebracht. Ich hoffe ihr konntet beim Karma einige Punkte für euer Interesse an mir bekommen, aber ich bin eben leider keine Karmabonuspuntebox, an der man sich bereichert und sein Gewissen beruhigt.


Daher möchte ich nochmal die Moral von der Geschicht' betonen:

Nur weil es dir ein gutes Gefühl gibt, gibt es das deinem Gegenüber nicht unbedingt.

Take Home Message

Du fragst dich nun bestimmt, aber wie kann man dennoch seine Anteilnahme, Unterstützung oder auch den Drang zu helfen, stillen ohne jemanden etwas aufdrücken zu wollen. Wir haben ja alle in uns ein Grundbedürfnis nach Nähe und Liebe, das wir auch zeigen wollen.

Hier einige Tipps zum Mitnehmen:

  1. Ich sitze am Steuer, nicht mein Beifahrer! Reduziere Menschen nicht auf die schlechten Dinge, die ihnen passiert sind oder passieren. Ich erlebe selbst den Alltag mit einer schweren Erkrankung und muss auch nicht immer wieder daran erinnert werden, wie schlimm das ist. Ich bin soviel mehr als das: Ehefrau, Tochter, Freundin, Kollegin, Ergotherapeutin, Hobbypsychologin ;) Wir finden bestimmt auch eine Möglichkeit eine dieser Stärken hervorzuheben und mich unter diesem Blickwinkel zu sehen.

  2. Frag' nach was jemand konkret braucht, was du tun kannst und wie sich die Situation für den*die Betroffene*n selbst anfühlt (Stichwort: Mitgefühl). Was bedeutet es tatsächlich für jemanden da zu sein? "Wenn du was brauchst, dann melde dich einfach". Dieser Satz mag euch beruhigen und das Gefühl geben etwas für hilfsbedürftige Menschen getan zu haben und das Karma schuldet euch somit etwas. So einfach ist es aber nicht, muss ich euch sagen, denn diese Sätze habe ich über die vergangenen Jahre oft genug gehört und gelesen. Was denkt ihr kam danach? NICHTS. Denn in den dunklen Stunden in denen dich dein Schatten tief hinunterzieht, bist du selbst nicht in der Lage den Rettungsreifen zu ergreifen. Nehmen wir das einfache Beispiel Liebeskummer, wer es schon einmal erlebt hat, weiß, dass man zwar nicht allein sein will, sich aber dennoch beginnt einzuigeln. Man ist nicht in der Lage selbst um die Hilfe zu fragen, die man dringend benötigen würde. Niederschwellige Angebote wie ein Spaziergang, ein Anruf oder mit selbstgemachtem Essen vorbeizukommen, geben gerade in diesen Stunden, das Gefühl nicht allein zu sein und man rappelt sich danach wieder auf und schafft es beim nächsten Mal vielleicht wieder selbst sich zu melden und um Hilfe zu fragen.

  3. Beim Umfeld erkundigen, bevor mit falschen Informationen bei Betroffenen angeklopft wird. Vor allem wenn man nicht in direktem und häufigem Kontakt zu jemanden steht und man nicht weiß wo diese Person zurzeit mit ihrer Erkrankung und in ihrem Behandlungsplan steht, empfiehlt es sich zunächst bei anderen, der Person Nahestehenden, nachzufragen. Es kann oftmals sehr unangenehm für beide Seiten werden, wenn man mit Anrufen von Menschen überrascht wird, zu denen man sonst auch keinen Kontakt pflegt und dann auch noch Fragen gestellt werden, die aus dem Kontext gerissen sind wie z.B.: "Wie geht's der Leukämie?" (Diese Frage wurde mir bereits vor 1,5 Jahren gestellt, wo ich noch nicht einmal ansatzweise an Leukämie erkrankt war). Das nahe Umfeld kann euch je nach deren momentanen Ressourcen informieren und euch wissen lassen, ob Anrufe, Besuche oder Sonstiges überhaupt erwünscht sind.

  4. Kleine Aufmerksamkeiten. Das Glück liegt in den kleinsten Dingen, vor allem in dunklen Zeiten können diese den Alltag erhellen und ein Lächeln aufs Gesicht zaubern. Man muss nicht immer handeln, die passenden Worte finden oder sich dauernd erkundigen, um Betroffenen und Angehörigen das Gefühl zu vermitteln, dass man an sie denkt und helfen will. Ein Strauß Blumen, ein nettes selbstgedrehtes Video, eine Karte oder auch ein Lunchpaket für meinen braven Ehemann haben uns wissen lassen, dass es Menschen gibt, die an uns denken und uns eine Freude bereiten wollen.

Auf https://www.influcancer.com/magazin/so-redest-du-mit-krebskranken-menschen-in-familie-und-freundeskreis/ findet ihr eine Checkliste im Umgang mit krebskranken Menschen, die wie ich finde wiederum auch auf andere Situationen im Leben übertragen werden kann. In deren Artikel werden einige sogenannte "Killerphrasen" vorgestellt, aber auch hilfreiche Phrasen in der Kommunikation mit krebskranken Menschen, die ich für euch in einer Abbildung zusammengefasst habe:



Lass' mir gerne ein Kommentar da, welche Phrasen du selbst schon mal erlebt hast, wie es dir dabei gegangen ist oder auch welche wertvollen Tipps sich für dich im Umgang mit schwierigen Situationen bewährt haben.

 

Quellen:

Greiner, A. (2021). Fels in der Brandung - So redest du mit krebskranken Menschen in Familie und Freundeskreis. Abgerufen am 01.04.2023 von https://www.influcancer.com/magazin/so-redest-du-mit-krebskranken-menschen-in-familie-und-freundeskreis/


4 Kommentare

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4 Comments


Guest
May 05, 2023

Danke für den Text! Ich habe gleich unsere letzten Nachrichten durchgelesen & du hast recht.. nachdem du deine neuesten Infos mit mir geteilt hast, war der Nachrichtenverlauf so gut wie aus. allerdings muss ich ganz ehrlich sagen, dass ich auch überfordert war.. so wie du geschrieben hast im Text. Ich wusste nicht, ob es für dich verletzend ist, wenn ich weiter frage oder vor allem frage wie du dich fühlst.. manche wollen darüber ja auch gar nicht reden. Ich wusste auch nicht wie viel ich von meinem Leben preisgeben soll… weil dich auch das vermutlich verletzt.. deswegen danke für deinen Text! Ich nehme mir das bestimmt zu Herzen! ❤️

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Jasmin Poschmaier
Jasmin Poschmaier
May 07, 2023
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Zuerst einmal danke für deine Ehrlichkeit, Betroffenheit aber vor allem deine selbstreflexion. Überfordert bin ja ich auch und somit sitzen wir im selben Boot, mit dem Gedanken kann man vielleicht wieder den Druck nehmen aus dem vorsichtigen Umfang denn für alle, Betroffene selbst wie auch Angehörige, ist das eine neue Situation in der Erfahrungen und eben auch Fehler gemacht werden. Lernen wir einfach gemeinsam 🤗❤️

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Guest
May 05, 2023

Du überrascht mich immer wieder aufs Neue mit deinen exzellenten Beschreibungen, Erklärungen und Bildern, die deinen Zustand, deine Gefühlswelt, aber auch die Anderer in vergleichbaren Situationen verdeutlichen. Der Beitrag erinnert mich an unser Gespräch während der letzten Heimfahrt vom AKH. Mach weiter so und schreib deine Seiten in deinem Buch 😘

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Jasmin Poschmaier
Jasmin Poschmaier
May 07, 2023
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Bei der Heimfahrt habe ich über diesen mir so wichtigen Beitrag bereits laut gedacht und gesprochen. Das Buch füllt sich 😉

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