top of page

Watch & Wait (österreichisch: Schau' ma moi, daun seng ma e!)

Inzwischen war ich es durchaus gewohnt zu warten: auf Ergebnisse, verheißungsvolle Sätze aus dem Mund der Medizin oder damit neue Pläne zu machen, weil ich zuerst wissen musste wie es weiterging.

Stunden und Tage des Wartens auf einen Anruf mit den Ergebnissen der letzten Beckenkammbiopsie und einem eventuellen Startschuss für meine Behandlung. Vor mir schien sich der Weg zu gabeln und ich hatte keine Ahnung welche Abzweigung ich nehmen sollte, bis der Anruf meine Gedanken durchbrach.



Wir waren am höchsten Punkt der Achterbahn angelangt. Die vergangenen Wochen meines Lebens glichen einer emotionalen Achterbahn mit Loopings, Rückwärtsdrehungen und allem was dazugehört. Ich sehnte mich so sehr nach einem Plan und vor allem danach etwas gegen das MDS zu unternehmen. Stattdessen knallte ich volle Kanne voraus mit meinem Wagen die Achterbahn hinunter als der Arzt die Worte sprach: "Es braucht keine Vorchemotherapie in Ihrem Heimatkrankenhaus und auch sonst sind die Werte gleich stabil zum Sommer. Ich denke wir werden das Ganze einfach einmal beobachten."

Ich war fassungslos, spürte nicht die gewünschte Erleichterung, die diese Nachricht bringen sollte. Während sich mein Umfeld darüber freute, dass ich Weihnachten nun doch zuhause verbringen würde und es mir gut ging, wusste ich nicht wie ich über diesen zeitlichen Aufschub denken und fühlen sollte.


Die Änderung der Behandlungsstrategie

Es sollte mein letzter AKH-Termin für eine lange Zeit sein und noch dazu bildete sich die starke, selbstbewusste Feministin in mir ein, sie müsse diesen auch noch alleine erledigen. Schwerer Fehler im Nachhinein, denn wie wir in bestimmten Situationen auf Nachrichten reagieren ist nicht voraussehbar und die emotionale Talfahrt nach diesem Termin traf mich mit voller Wucht.

Es folgte ein Gespräch über Prognosen, Wahrscheinlichkeiten und einer Risikoeinschätzung. Demnach wurde ich mit meinen Werten von einem mittleren auf ein niedriges Risiko meiner Erkrankung eingestuft. Ein kleiner Anteil in mir fühlte sich betrogen, vielleicht wurde ich auch nur angelogen von den Ärzt*innen, möglicherweise war mein Zustand nicht so schlimm oder vielleicht nicht einmal dieses MDS Zeugs. "Hierbei gibt es keine Fehldiagnosen, es ist schon das , was es ist und auch in ihren Genen ist die Mutation sichtbar." Diese Idee wurde mir also aus dem Kopf geschlagen.

Mir wurde stattdessen der IPSS Score (ein internationales prognostisches Scoring System) erläutert, welches mit meinen Werten prognostizierte, dass ca. 25% der Patient*innen mit diesen Werten in 10 Jahren eine akute Leukämie entwickelten. Soviel zu den Zahlen im Computer dachte ich mir, aber diese Zahlen stammten von Statistiken mit Menschen die doppelt so alt waren wie ich und außerdem stand da nirgends mein psychischer Zustand drauf.

Das versammelte Team an Expert*innen hatte sich also entschieden mich vorerst nicht zu behandeln, da das Risiko bei einer SZT zu versterben weitaus höher war, als mein momentaner Krankheitszustand. Dann war da auch noch das böse "C-Wort", Corona, ein viel zu großes Risiko bei den vorherrschenden Coronafällen in einem Krankenhaus zu liegen.

Ich war sprachlos. Die vergangenen Wochen, wo ich vollgepumpt mit Hormonen versucht habe das bisschen Alltag, das noch da war aufrechtzuerhalten und alles in die Wege zu leiten, meine Angelegenheiten in der Arbeit und dem Studium zu klären, um im Dezember meine Behandlung zu starten, sollten umsonst gewesen sein?


"Man kann durchaus ein schönes Leben mit MDS führen." Wow, das kam unerwartet und ich sah meinen Arzt wie einen Fremden an, der sich plötzlich auf die gegnerische Seite geschlagen hat. Es schoss aus mir heraus: "Ich bin 27 Jahre alt, stehe gerade erst am Anfang mir ein Leben aufzubauen. Wie soll ich ein Haus bauen, eine Familie gründen mit diesem Schatten über mir?"

"Dann kriegen Sie eben ein Kind." Absolut nüchtern, eiskalt und sorry an die Männer die mitlesen: MÄNNLICH! Ich wurde mit den nachfolgenden Worten beinahe aus der Tür rausgeschmissen, als ob man mich loswerden wollte. "Sehen Sie es positiv und nutzen Sie die Zeit für Ihre Ziele, es können noch Jahre vergehen bis es zu einer Leukämie führt."



Das Jahr 2022

Mir wurde also Zeit geschenkt, mit der ich nicht gerechnet hatte und die mich schlichtweg überforderte. Plötzlich waren Träume wieder greifbar, die ich schon in den Hintergrund gerückt hatte. Ich mag einen schnellen Verstand haben, emotional bin ich allerdings immer etwas langsamer dran und brauche Zeit mich auf Dinge einzustellen und vor allem mich selbst wieder umzuprogrammieren.


Der Zug des Lebens nahm also Anfang 2022 nur langsam und auf der Bremse stehend Fahrt an.

Ich stellte die Weichen für das neue Jahr: MASTER + HOCHZEIT in Sicht.

Die Rolle der Kranken war für mich wieder eine Nebenbesetzung, ich besuchte weiterhin einmal im Monat die Onkologie um den Arzt die magischen 2 Wörter sagen zu hören: "ALLES STABIL". Ich holte mir damit meinen Segen für die weitere Fahrt durchs Leben und begann immer schneller zu werden, denn die Angst alles wieder umwerfen zu müssen blieb weiterhin bestehen. Die Gefahr, dass mir MDS Träume zerstört war ständig vorhanden und somit begann ich durchs Leben zu laufen.

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


bottom of page