Der Kampf gegen den Krebs: Ein Ritt im Wellenbad des Meeres (Ein Rückblick)
Mit dem heutigen Tag geht ein wesentliches Kapitel in meinem Kampf gegen meinen Beifahrer, wenn nicht auch das schwierigste und bedrohlichste zu Ende und der Neustart ins Leben zurück, im heimeligen Umfeld und dem vermeintlichen bekannten Alltag, beginnt.
Heute ist Entlassungstag meine Lieben und während ich hier noch im Bett sitze, das mein Körper mittlerweile zutiefst verabscheut und dies auch vermeldet, warte ich noch auf meine finale Blutkonserve um gut aufgepäppelt bei der Tür herausspazieren zu können. 14. Juni Weltblutspendetag, wie passend also dass ich nochmals Konserven erhalte, sowie viele andere Menschen alle 90 Sekunden. Also ein kleiner freundlicher Stupser an alle: Geht Blut spenden, es wird wirklich ganz dringend gebraucht!!!
Der Abschied von dieser mir nun bekannten, sicheren Umgebung ist mit einem lachenden und leicht verunsicherten Gemüt verbunden, wie ihr euch vorstellen könnt. Das Erlebte ist noch gar nicht richtig verdaut und schon steht man wortwörtlich vor der Tür. Ich habe bereits 2 Phasen in der Bewältigung einer Krebserkrankung durchgemacht, die ich auf meiner Reise nun kurz reflektieren möchte, bevor eine neue Etappe beginnen kann.
Phase 1: Die Vorbereitung auf den Kampf
Im Vorfeld einer für uns überaus wichtigen Angelegenheit haben wir oft das Gefühl die Zeit bis dahin will einfach nicht vergehen. Wir sitzen wie das kleine Kind vor dem Adventkalender, seufzend machen wir immer eine weitere Tür auf und stellen fest, die Tage wollen nicht vergehen und wir können es kaum erwarten, dass es endlich soweit ist und wir Christbaum und Geschenke sehen können. In dem Moment, an dem der heiß ersehnte Tag plötzlich da ist, beginnt sich plötzlich die Zeit in eine Art Zeitraffermodus umzustellen und neben Fotos, Christbaumkerzen anzünden, Geschenken auspacken und gemeinsamen Essen, sieht man sich selbst plötzlich wieder dasitzen und realisieren: "Das war es wieder für ein Jahr".
Was hat diese Einleitung mit meiner Gefühlserfahrung der vergangenen Wochen im Kampf gegen meinen Beifahrer und meiner Stammzelltransplantation zu tun?
Im Vorfeld habe auch ich diesen Tag X in meinem Kalender markiert und darauf hingewartet, wie ihr wisst musste leider mehrmals der Korrekturstift über das Kalenderblatt streichen. Ich habe mich auf meinen "großen Tag" vorbereitet, das Gefühl bekommen mittlerweile Expertin für meine Erkrankung zu sein nach dem x-ten Aufklärungsgespräch über Überlebens- und Sterblichkeitswahrscheinlichkeiten, zahlreichen Internetrecherchen und dem Aufbau meines mentalen Mindsets, das mich durch diese Zeit tragen sollte. Ungeduldig habe ich mich danach gesehnt aus dieser vermeintlichen Theorie endlich in die Praxis zu kommen, ins Fühlen und Erleben, um meine Vorstellungen und Gedankenkreise in meinem Kopf (die wohlgemerkt eindeutig öfter dicker aufgetragen haben als die Realität) endlich zu beruhigen. Nennen wir diese Phase bis zur aktuellen Behandlung einfach einmal Vorbereitungs- oder Realisierungsphase. Krebs wird ein Teil des Lebens, den man versucht auf mehreren Ebenen (Verstand, Körper, Psyche) zu integrieren.
Die Wellen im Meer oder Phase 2: Der Kampf gegen den Krebs beginnt
Ab dem Zeitpunkt, an dem ich das Krankenhaus betreten habe, um die Vorstellungen in meinem Kopf und meinen Beifahrer loszuwerden, begannen plötzlich zwei bedeutende Aspekte in der Raum-Zeit Wahrnehmung. Die Zeiger der Uhr begannen förmlich zu rasen und mein Zeitgefühl stellte sich vollkommen um. Einige sprechen vom Phänomen der Hospitalisierung, das bedeutet, dass man mit zunehmender Zeit im Krankenhaus Tage durcheinanderbringt, die Reihenfolge der Geschehnisse nicht mehr richtig einordnen kann und manchmal auch nicht weiß welcher Tag heute ist. Ich habe rückblickend noch immer das Gefühl, das eine Jasmin noch eine Woche weiter hinten im ganzen Prozess steht, am 5.6., jenem Tag wo zum ersten Mal Leukozyten sichtbar waren. Die leibhaftige Jasmin in Fleisch und Blut allerdings verlässt heute das Krankenhaus. Soviel zur Änderung der zeitlichen Wahrnehmung und Dimension.
Mein Kampf hier im Krankenhaus hat sich für mich wie ein Sprung ins Meer angefühlt. Noch überrascht vom kalten Wasser, musste ich beginnen zu schwimmen, immer in Begleitung eines Rettungsbootes. Die Wellen des Meeres stellen die verschiedensten Herausforderungen, Behandlungen oder Nebenwirkungen dar, die auf mich zukommen. Manche Wellen konnte ich ohne Schwierigkeiten überschwimmen, manche gaben mir sogar einen kurzen Auftrieb nach vorn, wodurch sich für mich auch die Zeit wieder schneller anfühlte. Ein anderes Mal zog mich eine Welle unter Wasser, ich verschluckte mich, sah zur Oberfläche, leicht benommen tauchte ich wieder auf, musste mich wieder neu orientieren, feststellen, dass wieder ein paar Tage vergangen waren. Die Zeiger der Uhr rasten weiter und ich konnte keine Pause machen, ich musste vorankommen, weiterschwimmen. Das Meer war mal stürmischer, mal ruhiger, aber ich konnte bei jeder Welle mein Boot um einen Rettungsreifen bitten, eine Weile in diesem treiben und mich ausruhen. Das Rettungsboot begleitete mich auf meiner Reise und versorgte mich mit dem Notwendigsten, um diese lebensbedrohliche Situation überstehen zu können.
Eines Tages erschien die Sonne am Horizont und ein Ufer in Sicht. Die Zellen haben begonnen in meinem Körper zu wirken, die Kraft war wieder da, ich stand nun am Surfbrett und konnte die immer weniger werdenden Wellen sogar reiten. Das Rettungsboot entfernte sich immer mehr und trennte die Leine zwischen uns und ließ mich alleine im Meer weitertreiben.
Schließlich setzte ich am sandigen Ufer auf, es gab unter meinen schwachen Füßen nach. Es ist bestimmt noch nicht fester Grund und sicherer Halt auf den ich momentan zum Stehen komme, aber tropfnass keuchend stehe ich da und blicke auf das Meer vor mir, durch das ich mich gekämpft habe, das mich in einem letzten Schritt auf einem Surfbrett mit der letzten Welle an Zellen hier abgestreift hat, auf einer neuen Insel des Lebens.
Ich merke, dass es schwierig ist, sich an jeden Teil dieser Reise zu erinnern, ist doch alles so schnell vergangen, wenn man nur von einem zum nächsten Tag lebt und nicht weiter in die Zukunft denkt als an die nächste Symptomwelle und wann sie auf mich treffen mag. Die Erinnerung verzerrt manche meiner Erfahrungen zu ihren eigenen Gunsten und ich merke, dass ich noch Zeit brauchen werde diesen durchaus auch traumatischen Abschnitt für mich einzuordnen und abzuschließen.
Ich richte meinen schmerzenden Körper auf und blicke auf den Weg vor mir, der in der Sonne liegt.
Das Rettungsboot winkt, hupt mir zu und macht schließlich kehrt, jemand anderes benötigt nun Hilfe auf dem Wellengang. Ich bin also nun auf mich gestellt in dieser Welt da draußen vor der ich immerhin fast vier Wochen lang in einem Zimmer geschützt wurde. Doch ich weiß da sind Hände, die nach mir greifen, mich tragen, Stimmen, die mir zureden und ich setze meinen ersten Schritt hinaus in diese neue Welt.
Nach 27 Tagen in einem Zimmer und auf einem Geistergang dahinschleichend, darf ich durch die Schleusentür gehen und dieses Mal hoffentlich endgültig bis auf meine Kontrolltermine dem AKH "Leb wohl!" sagen, denn den sich wöchentlich wiederholenden Speiseplan kenne ich mittlerweile in- und auswendig. Ebenso den Blick über Wien. Es ist Zeit für Abwechslung.
Die nächste Phase beginnt: Der Weg zurück ins Leben bzw. den Alltag.
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